Als die Corona-Pandemie diesen März mein Heimatland Kamerun heimsuchte, hatte ich gemischte Gefühle. Einerseits war ich traurig wegen der schlimmen Auswirkungen auf die Menschen, anderseits hoffte ich, dass meine in Kamerun zurückgebliebene Familie vielleicht eine Atempause erhalten würde vor der Bedrohung durch die Regierung. Das wäre ein Vorteil dieses Virus gewesen.
Ich konnte in dieser Zeit glücklicherweise etwas tun, für Solinetz online Französisch unterrichten, einen Beitrag für das Integrationsprojekt Interact Sprachtandem leisten und an meinem Roman weiterschreiben. In einer Zeit, in der man keine anderen Leute treffen und nur selten nach draussen gehen sollte, kann man schnell die Hoffnung verlieren und in eine Depression fallen, wenn man nicht etwas tut.
Nach meiner ersten Anhörung auf dem Migrationsamt am 16. Januar wartete ich auf eine zweite, weil wir trotz acht Stunden Reden nicht fertig geworden waren. Wenn ich daran dachte, dass ich noch einmal über meine so schmerzhafte persönliche Geschichte reden sollte, wurde ich ganz traurig. Im Februar bekam ich dann einen Termin, aber der wurde wegen Corona wieder annulliert – für mich eine schlechte Nachricht, weil ich immer gegen die Zeit kämpfe.
Wegen meines politischen Engagements in der Vergangenheit ist meine Frau letztes Jahr von der Polizei überfallen worden, und ich riskiere jetzt, nicht nur sie, sondern meine ganze Familie zu verlieren. Das Schlimmste ist, ich bin hier in der Schweiz und kann nichts dagegen tun. Ich wollte sofort zurück nach diesem Überfall. Aber als meine «Verächter» in der Regierung das erfuhren, erliessen sie sofort einen Haftbefehl. Ich wusste, wenn ich Kamerun betreten würde, landete ich im Gefängnis.
Wieder erhielt ich einen Anhörungstermin, der kurz darauf nochmals annulliert wurde. Es war schon schwierig, dieses traurige Leben zu führen und mich immer wieder gegen die Resignation wehren zu müssen. Endlich, am 12. Mai, war es soweit, ich konnte das hoffentlich letzte Gespräch auf dem Migrationsamt führen. Ich glaubte, unmittelbar danach den Bescheid zu erhalten. Aber mein Interviewer sagte nach dem Gesprächsende um drei Uhr nachmittags, sechs Monate würde es mindestens dauern, bis ich Bescheid erhielte.
Was kann in dieser Zeit geschehen? Wie soll ich das ertragen? Muss ich zufrieden oder sauer sein, spielt es überhaupt eine Rolle? Wird der Entscheid etwas Positives bringen, die Lage verändern?
Vier Tage nach der Anhörung in Bern bekam ich einen Anruf von meiner Frau. Eben war sie wieder überfallen worden, und diesmal am heiterhellen Tag. Sie wurde niedergeschlagen, erhielt Drohungen, wegen mir, man brach ihr die Rippen und sorgte dafür, dass sie weiter in Angst und Schrecken leben muss.
Madeleine ist wütend auf mich. Wegen mir hat sie keinen Ausweis, keine Arbeit mehr, muss sie von der Hilfe anderer Leute leben. Hat sie Recht? Natürlich hat sie Recht! Gegen die Polizei darf sie nichts sagen. Als sie letztes Mal auf dem Posten war, nahm man ihr den Ausweis ab und lachte sie aus.
Sie musste ins Spital. Aber wie sollte sie alle ihre Behandlungen bezahlen?
Ich schickte ihr alles Geld, was ich hatte, was viel zu wenig war. Glücklicherweise unterstützten mich ehemalige Lehrerinnen und Lehrer von Solinetz, denen ich sehr dankbar bin. Wie würde ich es schaffen ohne die Hilfe dieser Menschen?
Madeleines Zustand hat sich dank guter Behandlung etwas verbessert, doch sie ist traumatisiert. Unsere drei Kinder Bob, Bénita und Blessing leiden unter der Situation, auch wenn wir sie davor zu schützen versuchen. Erfolgreich? Nein! Sie wissen schon fast alles, versuchen ruhig zu bleiben und keinen Kontakt zu anderen Kindern zu haben.
Wie ich es mir auch überlege, ich finde keine Lösung. Und das macht mir grosse Sorgen. Wird meine Familie Ruhe finden, wenn Madeleine und ich uns geschieden haben? Was soll sie machen ohne Ausweis? Zur Schweizer Botschaft in Kamerun gehen? Was kann ich machen, ausser zu versuchen, meine Familie finanziell zu unterstützen? Viele Fragen, keine konkreten Antworten. Wenigstens habe ich hier Menschen, die mir helfen, mein ständiges Unbehagen zu überwinden, Menschen, mit denen ich in der Natur wandern, eine Velotour machen oder einfach telefonieren kann.
Ich könnte mich abkapseln, mich in eine Depression fallen lassen oder auch einfach wütend sein über mich und mein Leben. Nein. Ich entscheide mich trotz allem für die Hoffnung. Danke der Lockerung darf ich jetzt wieder singen ein paar Mitgliedern des Oratorienchors. Das wird die Lage meiner Familie zwar nicht ändern, aber meine Psyche etwas beruhigen. Was will ich sonst?
Mit den Deutschkennnissen, die ich bei Solinetz in Winterthur erworben habe, schreibe ich derzeit an einem Roman. Die Menschen sollen Schicksale kennenlernen, von denen sie bisher nichts wussten, und die Geflüchteten sollen Kraft bekommen und wissen, dass sie nicht alleine sind. Am Anfang wollte ich diesen Roman nur für meine Kinder schreiben. Sie sollten wissen, was ich erlebt habe. Jetzt bin ich schon fast fertig damit und hoffe, dass ich einen Verlag finde, damit auch viele andere Menschen diese Geschichte erfahren werden!
*Hypotenuse Bob ist ein selbstgewähltes Pseudonym Juni 2020
Hypotenuse Bob* aus Winterthur erzählt
Roshna
«Ich wurde aufgrund meines Alters einer regulären Ausbildung beraubt.»
Ich heisse Roshna, bin 21 Jahre alt und komme aus dem Nordirak. Ich bin in Erbil geboren und aufgewachsen. Ich bin kurdischer Abstammung und lebe seit dreieinhalb Jahren in der Schweiz zusammen mit meiner Familie: meinen Eltern und meinen beiden schulpflichtigen Geschwistern. Ich habe noch eine ältere Schwester, die in Deutschland lebt. Wir haben uns allerdings schon lange
nicht mehr gesehen. Ich vermisse sie.
Wir leben in einem sehr schönen Dorf namens Trüllikon am Stadtrand von Winterthur und Zürich. Wir sind zufrieden in diesem Dorf, weil wir uns sehr unterstützt fühlen. Deshalb betrachten wir uns auch nicht als Fremde. Wir finden, dass die natürliche Luft und das Wasser dieser Gegend unserem Land sehr nahe sind.
Im Irak war ich in der 11. Klasse des Gymnasiums. Ich hätte gerne die Matura gemacht und wäre dann zur Universität gegangen. Alles, was ich wollte, war, die Universität zu beenden, damit ich meinem Land dienen konnte. Aber leider konnte ich meine Ausbildung aufgrund der politischen Situation, in der mein Vater war, nicht fortsetzen. Mein Vater war durch Macht und Partei in
Lebensgefahr.
Das Leben meines Vaters war auch wichtiger als meine Ausbildung und meine Wünsche. Der ganze Spass, meine Wünsche, meine Freunde, unweigerlich mein Land, ich habe meine Erinnerungen verloren für die Sicherheit meines Vaters und meiner Familie.
Wir mussten unser Mutterland verlassen, es gab keinen anderen Weg, bis wir in der Schweiz ankamen. Die Schweiz ist ein schönes Land. Sie hat sich einen Namen gemacht für Gerechtigkeit, Menschenrechte und Demokratie. Nach Leiden und Erschöpfung, harten und gefährlichen Wegen, Tausende von Kilometern lang, kamen wir erst sechs Monate später auf Schweizer Territorium
an. In der Stadt Chiasso.
Bei der Stadtpolizei und bei unserem ersten Treffen beantragten wir Asyl in diesem Land, dann erhielten wir gesetzlich mehrere Lager und schliesslich eine Wohnung im Dorf Trüllikon.
Wie alle Kinder hatten meine Geschwister das Recht zur Schule zu gehen. Jetzt ist meine Schwester in der 1. Sekundarschule und mein Bruder in der 4. Klasse. Sie sind sehr glücklich mit ihrer Schule und ihren Freunden, sie lieben ihre Lehrerinnen und Lehrer sehr und sie haben sehr gut Deutsch gelernt. Mein Bruder konnte Gitarrenstunden nehmen. Er lernt Gitarre mit grossem Interesse
und ist sehr glücklich darüber.
Ich wurde aufgrund meines Alters einer regulären Ausbildung beraubt. Also schrieb ich mich in einen Sprachkurs ein und war sehr froh, teilnehmen zu können und die Chance zu erhalten, Deutsch zu lernen. Glücklicherweise habe ich meine Ausbildung bei Solinetz in Winterthur gemacht und konnte so das Goethe B1 Zertifikat erlangen. Dann habe mein Studium auf B2-Niveau
fortgesetzt, um einen höheren Abschluss zu erreichen, meinen Traum zu verwirklichen, in die Gesundheitsabteilung zu gelangen und der Schweiz als Pharmaassistentin zu dienen.
Leider haben wir aber nach dreieinhalb Jahren, nach Schul- und Solinetz-Deutschkursbesuch am 24. Februar 2020 zum zweiten Mal einen negativen Asylentscheid bekommen, was heisst, dass wir das Land gesetzlich verlassen müssen.
Im Moment hat sich das Coronavirus bereits im ganzen Land verbreitet. Daher hat alles aufgehört, und ich weiss nicht, was nach dem Ende der Krönung (der Krise) mit mir geschehen wird. Werden wir bleiben können oder werden wir in unser Land zurückgeschickt werden?
Wir können in keiner Weise in unser Land zurückkehren, weil die ganze Welt weiss, welche Phase der Irak gerade durchläuft und wie die Menschen im Irak ständig unter Ungerechtigkeit, Diebstahl, Korruption, Krieg und Gewalt leiden. Die Kurden besitzen unser Land nicht. Unser Land wurde in vier Teile und vier Nachbarländer aufgeteilt, und uns wurde das Recht verweigert, in einem
eigenen, unabhängigen Staat zu leben. Unsere Rückkehr in unser Land ist also in keiner Weise akzeptabel, besonders in der aktuellen Situation nicht.
Das Coronavirus, das in jedem Land zu einer Bedrohung für das Leben der Menschen geworden ist, gefährdet uns alle durch seine Ausbreitung, auch wenn sich die Ausbreitung verzögert hat.
Wir bleiben in der Schweiz, aber gleichzeitig haben wir Angst und sind besorgt darüber, was später sein wird. Wir weigern uns, nicht legal in diesem Land bleiben zu können.
Ich hoffe, dass wir in Zukunft gute Nachrichten erhalten werden, damit wir und meine Familie als normale Bürger leben können und meine Geschwister ihre Ausbildung fortsetzen können, damit wir diesem schönen Land in Zukunft dienen können.
Wir unterliegen wie alle als Bürger den Gesundheits- und
Bundesrichtlinien. Wir haben uns unter Quarantäne gestellt, wenn mein Vater nicht für einen dringend benötigten Job ausgehen und Essen kaufen muss. Ich hoffe, dass die Krankheit in allen Ländern so schnell wie möglich endet, insbesondere bei den geliebten Schweizern, und dass sich das Leben wieder normalisiert.
April 2020, Text geschrieben im Rahmen der Solinetz Intensivdeutschkurse in Winterthur
Kungkar
«Es war, als ob mir der Boden unter meinen Füssen weggezogen worden wäre.»
Ich bin Kungkar und ich komme aus dem Tibet. Seit sechs Jahren wohne ich in der Schweiz. 2015 hatte ich die Möglichkeit, an einem Gastronomieprojekt teilzunehmen. Der Kurs war am Anfang schwierig, denn ich konnte die Sprache nicht. Aber mit Einsatz und Engagement gelang es mir doch, dieses Programm erfolgreich abzuschliessen. Kurz danach bekam ich meine erste Stelle auf dem Schweizer Arbeitsmarkt. Ich wurde am Anfang als Küchenhelfer angestellt, dann aber während meiner Beschäftigung zum Koch befördert.
Eines Tages habe ich einen Brief erhalten, und gemäss diesem Brief des SEMs, des Staatssekretariats für Migration, sollte ich die Schweiz verlassen, weil nämlich mein Asylantrag abgelehnt worden war. Es war, als ob mir der Boden unter meinen Füssen weggezogen worden wäre. An einem Tag verlor ich meinen Job, das Studio, meine Versicherungen und meinen N-Ausweis, der für mich eine grosse Kostbarkeit war. Aber ich wusste, dass ich immerhin den Anspruch auf ein Härtefallgesuch habe. Bis ich diesen Antrag stelle, habe ich mich entschieden, meine Deutschkenntnisse zu verbessern. Und so habe ich Frau Constanze Schade vom Solinetz in Winterthur kontaktiert. Nach einem Einstufungstest habe ich im Februar 2019 auf dem Niveau B2 begonnen und lerne jetzt heute Deutsch auf dem Niveau C2.
Hier möchte ich über die Solinetz-Sprachschule sowie ihr
Managementteam schreiben. Mit anderen Schulen verglichen ist Solinetz eine der besten Sprachschulen der ganzen Schweiz, denn sie geht auf der ganzen Linie auf die Bedürfnisse der Schüler ein. Erwähnenswert ist auch die Tatsache, dass nur Schüler mit Asylhintergrund die Schule besuchen, solche, die entweder nie Unterstützung für das Erlernen der Sprache bekommen haben oder denen vom Staat der Zugang zu einem Deutschkurs gestrichen worden ist, und das entspricht genau meiner Situation. Die Schule hat das Ziel, dass jeder Asylsuchende wie ich eine zweite Chance bekommt und sich so gut in der deutschen Sprache ausbilden kann, dass er Chancen auf eine bessere Zukunft hat. Aber man lernt da auch andere wichtige Eigenschaften der Menschen wie Einfühlungsvermögen, Verständnis und Selbstwertgefühl, was keine andere Sprachschule ihren Schülern so beibringen kann. Die Lehrkräfte arbeiten tagaus, tagein für uns, sie stellen hervorragendes Lernmaterial zu unserer Verfügung, sie organisieren eine Party und eine Klassenfahrt nach jedem Abschluss. Solinetz gibt uns Mut und hilft uns beim Bewahren unseres Glaubens an die Menschheit.
Nach der Ausbreitung der Pandemie bleibt unsere Schule leider
geschlossen. An den ersten paar Tagen nach der Einschränkung war es uns langweilig, denn man konnte ja weder nach draussen gehen, noch den gewohnten Schulunterricht besuchen. Dann aber begannen die Lehrkräfte mit Fernunterricht, so dass sich nun Schüler und Lehrerinnen täglich dreieinhalb Stunden mit Deutsch beschäftigen wie vorher. Ausserdem habe ich neulich mit
Geschichtenschreiben auf Deutsch angefangen, und das gibt mir viel Frieden in dieser ungewöhnlichen Zeit.
Es beruhigt mich zu erkennen, dass meine Heimat Tibet nicht vom COVID-19 Virus beeinträchtigt ist. Deshalb mache ich mir keine Gedanken, zumindest nicht wegen des Virus, zur Gesundheit meiner Familie. Allerdings empfinde ich grosses Mitleid für die Leute, deren Familien wegen des Virus ums Leben gekommen sind. Dieses Virus hat sicherlich die Wirtschaft der Schweiz beschädigt, aber was man dabei vernachlässigt, ist die Realität, dass unter der Ausbreitung der Pandemie, unter anderem die Asylsuchenden viel leiden, die auf die Entscheidung des SEMs warten. Doch darüber reden die Leute nicht. Stattdessen interessieren sie sich mehr dafür, wie viele Asylsuchende hier sind, wie viel sie kosten oder ähnliches mehr.
Laut den Nachrichten ist diese Krise, in der wir uns alle befinden, die zweitgrösste nach dem zweiten Weltkrieg. Doch ich betrachte sie als die zweitgrösste Chance, die wir je gehabt haben, um uns über vieles Gedanken zu machen, sei es über den Klimawandel, den Tagesablauf, die Familie, Fehler und darüber hinaus über unser Verhalten anderen gegenüber.
April 2020, Text geschrieben im Rahmen der Solinetz Intensivdeutschkurse inWinterthur
Reza
«Zum Glück kamen wir dann vor einem Jahr zu Solinetz in Winterthur.»
Meine Frau Sanaz und ich, Reza, leben seit 2 Jahren und 9 Monaten in der Schweiz. Wir kommen aus dem Iran, wo ich als Tierarzt arbeitete und meine Frau in einem Reisebüro. Aufgrund meiner Menschenrechts-Aktivitäten, um mein Volk Qashqai zu unterstützen, wurde ich vom Regime des Irans verfolgt und musste mit meiner Frau in die Schweiz flüchten!
Mehr als einen Monat lebten wir in einem Flüchtlingsheim und dann drei Monate in einem Durchgangszentrum bis wir schliesslich nach Pfäffikon in eine Wohngemeinschaft transportiert wurden. Zunächst wohnten wir in einem 12 Quadratmeter-Zimmer, seit anderthalb Jahren jetzt in einem grösseren Zimmer. Ganz schwierig für uns war es, mit drei Familien aus verschiedenen Ländern und Kulturen in einer kleinen Wohnung klarzukommen, trotzdem haben wir das jetzt geschafft!
Es dauerte nicht lange bis uns klar war, dass wir unbedingt Deutsch lernen mussten. Dank der Hilfe vieler freiwilliger Deutschlehrender in der Kirche, der pädagogischen Hochschule Zürich und eigenständigem Lernen über Internet konnten wir unsere Deutschkenntnisse immer mehr verbessern. Zum Glück kamen wir dann vor einem Jahr zu Solinetz in Winterthur, wo wir tolle freiwillige Lehrkräfte kennenlernten und unserem Niveau angepasste Deutschkurse besuchen konnten.
Der Coronavirus hat leider den Besuch dieser Deutschkurse unterbrochen und neue Gesetze und Massnahmen durchgesetzt. Ich glaube, wir haben uns mit dieser aussergewöhnlichen Situation relativ gut abgefunden, obwohl uns oft die Freunde und Bekannten fehlen und uns die Quarantäne manchmal langweilt! Aber wir bleiben ständig über WhatsApp und E-Mail mit ihnen im Kontakt.
Wir finden, muss man die jetzige Situation ganz ernst nehmen, ohne davor Angst zu haben! Bevor die Krise des Coronavirus die Schweiz heimsuchte und erst ernst genommen wurde, war sie schon meinem Heimatland begegnet, Deshalb hatten wir eine gewisse Erfahrung und wussten beispielsweise, dass Hamsterkäufe und zu viele Sorgen um Desinfektionsmitteln, die selten man finden kann, keinen Sinn ergeben! Wir sorgen uns aber um unsere Eltern, weil sie als Risikogruppe gelten.
Im Alltag beschäftigen wir uns vor allem mit dem Deutschunterricht von Solinetz, der dank der Bemühungen unserer Lehrkräfte täglich online noch existiert und davon können wir echt profitieren. Auch die sonst üblichen Dinge wie Kochen, Serienschauen und manchmal Spazieren, wenn es am Pfäffikersee nicht überfüllt ist, gehören zu unserem Alltag!
Da wir aufgrund davon, dass wir noch im Asylverfahren stehen (Status N), in einer Wohngemeinschaft wohnen müssen, reinige ich die gemeinsamen Orte im Zuhause extra wegen unserer unvorsichtigen Nachbarn!
Eine der grössten Konsequenzen des Coronavirus war, dass die Einladung zur Anhörung unserer Asylgründe wegen der Krise annulliert wurde! Das macht für uns die Situation eher schwieriger!
Wie gut wir Deutsch sprechen können oder integriert sind, spielt eigentlich keine Rolle für ein normales Leben in der Schweiz, solange unsere Asylgründe nicht geprüft werden und wir einen richtigen Aufenthalt erlangen! Trotz aller Schwierigkeiten und Schwellen verlieren wir unsere Geduld nicht und gehen
hoffnungsvoll weiter!
Wir hoffen von ganzem Herzen, dass diese Situation schnell untergeht und alle Menschen die Sonne wieder zusammen geniessen können, diesmal aber noch liebevoller, und dass wir lernen, die Humanität und Solidarität nicht nur während dieser Krise zu bevorzugen, sondern durch unser ganzes Leben.
April 2020, Text geschrieben im Rahmen der Solinetz Intensivdeutschkurse in Winterthur
Ecrin
«Kurz gesagt: Ich verbringe meine Tage zu Hause auf Deutsch.»
Ich heisse Ecrin, bin verheiratet und habe drei Kinder. Wir leben seit einem Jahr zusammen in einer kleinen, aber gemütlichen Wohnung in Pfäffikon ZH und sind seit 18 Monaten in der Schweiz. Ich bin ehemalige Richterin und bis zum sogenannten Putschversuch habe ich neun Jahre lang als Richterin gearbeitet. Aus politischen Gründen musste ich mit meiner Familie die Türkei verlassen. Nach einer gefährlichen Reise bin ich nach Griechenland und nachher in die Schweiz gekommen.
Ich bin noch nicht anerkannter Flüchtling und habe N Ausweis. Das heisst, ich muss auf die Anhörung warten. Mit diesem Ausweis darf man in der Schweiz bis zur Entscheidung bleiben und keine Erwerbstätigkeit ausüben. Ich habe jetzt zwar eine ungewisse Zukunft, aber ich schätze mich trotzdem glücklich, weil ich mit meiner Familie zusammen und frei bin.
Seit etwa einem Monat erleben wir eine aussergewöhnliche Zeit, die wir vorher noch nie erlebt haben. Wer hätte das gedacht? Wir müssen stets zu Hause bleiben und können nicht nach draussen gehen. Selbst wenn wir hinausgehen müssen, werden wir zwei Meter Abstand voneinander Abstand halten, tragen Masken und Handschuhe. Es kommt mir so vor, dass wir wahrscheinlich noch eine Weile so leben müssen.
Das Beste an diesen schwierigen Tagen ist, dass wir wie die ganze Menschheit gegen einen gemeinsamen Feind kämpfen. Vielleicht ist es das erste Mal, dass die Menschheit ausnahmslos im gleichen Rang ist. Die Menschen folgen der lokalen und globalen Presse und erwarten gute Nachrichten. Jeder träumt von gesünderen
Tagen und arbeitet für eine gesündere Welt. Das tröstet mich in diesen schwierigen Tagen. Vielleicht haben wir, nachdem wir diesen schwierigen Prozess überwunden haben, erkannt, dass wir auch viele andere Probleme gemeinsam lösen werden.
Aussergewöhnliche Tage begannen für mich nicht mit dem Coronavirus. Der Coronavirus hat einfach gerade noch neue aussergewöhnliche Tage zu denen hinzugefügt, die ich bisher erlebt habe. Vor dem Coronavirus kümmerte ich mich morgens um meine drei Kinder und den Haushalt. Nachmittags überliess ich die Kinder und das Haus meinem Mann, der vom Deutschkurs nach Hause kam. Nachher ging ich nach Winterthur, um einen Intensiv-Deutschkurs zu besuchen. Wenn ich abends nach Hause zurückkam, hütete ich wieder die Kinder und machte die Hausarbeit. Ich lernte Deutsch, nachdem die Kinder eingeschlafen waren. Ich kann sagen, dass ich zu dieser Zeit meines Lebens sehr beschäftigt war.
Seit dem Coronavirus hat sich jedoch alles geändert. Ich bemerkte die Änderung zuerst mit den Informationen, die jeden Tag auf mein Handy kamen. Ich habe mich mit meinem Mann sehr bemüht, diese Nachrichten zu verstehen und dann das Richtige zu tun. Wie Millionen von Menschen bleiben wir zurzeit zu Hause und versuchen, uns nicht mit dem Coronavirus anzustecken oder eine andere Person zu infizieren. Kurse, Schulen und alle gemeinsam besuchten Orte wurden geschlossen. Genauer gesagt fangen wir mit dem Heimunterricht an. All die Lehrmittel aus den Schulen wurden uns geschickt.
Obwohl ich noch nicht gute Deutschkenntnisse beherrsche, soll ich meinen drei Kindern beim Deutschunterricht helfen. Gleichzeitig lerne ich Deutsch online. Im Moment lerne ich Deutsch und unterrichte interessanterweise Deutsch. Kurz gesagt, ich verbringe meine Tage zu Hause auf Deutsch. Wenn ich Zeit habe, gehe
ich spazieren. Ich mache es besonders häufig, wenn das Wetter schlecht ist, weil die Strassen leer sind und ich will mich natürlich am Virus anstecken.
Ausserdem verständige ich mich mit meinen Eltern über das, was bei uns und bei ihnen in der Türkei gerade passiert. In meinem Land wird die Lage wegen dem Coronavirus schlimmer. Die Menschen unter 20 und über 60 Jahre dürfen ihre Wohnungen nicht mehr verlassen. Meine Eltern müssen zu Hause bleiben. Wir versuchen, uns nicht gegenseitig negativ zu beeinflussen und zu erschrecken, indem wir mit meiner Familie negativ über dieses Problem sprechen. In der Türkei geht es meiner Familie gut, aber mir bereiten die Gefängnissen in der Türkei mehr Sorgen.
Tausende unschuldige Menschen ohne Verbrechen werden aus politischen Gründen im Gefängnis festgehalten. Insbesondere als Frau macht mich die Situation von Hunderten von Frauen sehr traurig, die mit ihren Babys oder Kindern in Gefängnissen festgehalten werden. Der Coronavirus trat in den türkischen Gefängnissen auf, und dieses Virus bedroht dort die menschliche Gesundheit.
Ich hoffe, dass die Schweizer, denen ich dankbar bin, und alle Völker der Welt, diese Epidemie so schnell wie möglich loswerden. Ich hoffe, wir sehen uns bald an gesunden Tagen wieder auf Strassen und in Parks und wir grüssen die Aufrichtigsten, geben uns die Hand und umarmen uns ohne Angst.
April 2020, Text geschrieben im Rahmen der Solinetz Intensivdeutschkurse in Winterthur
Nima
«Ich sehe gerade mein Leben abrutschen.»
Ich bin Nima. Ich wohne in einer Notunterkunft, wo ich noch mit 3
Mitbewohnerinnen das Zimmer teile. Während dieser Krisenzeit ist es schwierig, voneinander Abstand zu halten und die Methode der Selbstquarantäne funktioniert bei uns überhaupt nicht. All dies hat dazu geführt, dass alle unsere Termine abgesagt wurden. Vor allem kann ich die Schule nicht mehr besuchen. Es war am Anfang sehr langweilig, aber nach einigen Tagen haben wir mit unserem Fernunterricht angefangen. Schüler und Lehrkräfte, wir beschäftigen uns miteinander dreieinhalb Stunden pro Tag.
Bereits sieben Jahre und fünf Monate lebe ich hier in der Schweiz. Im Jahr 2015 ist mein Asyl-Gesuch abgelehnt worden. Tibet ist meine Heimat. Dies ist der einzige Ort, wo ich mich zu Hause gefühlt habe, wo meine Familie lebt. Leider musste ich meine Familie und meine Heimat verlassen, weil mein Leben in
Gefahr war. Ich musste alles hinter mir lassen. Und mein Bezug zur Schweiz ... als Sans-Papiers fühle ich mich hier nicht willkommen.
Trotz all dieser Jahre kann ich kein Härtefallgesuch einreichen, weil der Kanton, worin ich wohne, sehr restriktiv ist. Ich habe mich stets bemüht, die Sprache zu erlernen und mich gut zu integrieren. Als Sans-Papiers fehlt mir eine Perspektive, ich sehe gerade mein Leben abrutschen. Ich hege Hoffnung, für mich selbst sowie für mein Land. Ich fürchte mich vor meinen Träumen. Man sagt, dass in der Schweiz die Menschenrechte für alle gleich gelten, aber
Asylbewerber leben jeden Tag mit der Angst, dass sie plötzlich ins Gefängnis geschickt werden oder irgendwohin gebracht werden. Obwohl es so schwierig ist, mit der Nothilfe zu überleben, erhalten wir Strafbefehle wegen illegalen Aufenthalts, die es finanziell noch schwieriger machen.
Ich selbst war zwei Monate im Gefängnis. Und warum? Weil ich kein Geld hatte, den Strafbefehl von fast 3000 Franken zu bezahlen. Diese Situation ist ein Widerspruch, denn wir dürfen nicht arbeiten. All dies setzt mich so unter Stress und Druck, dass ich langsam meine Kraft verliere und meine Gesundheit sich verschlechtert.
Ich bin immer noch in der gleichen Situation wie vor 7 Jahren, als ich hier ankam. Die Schweiz bedeutete für mich Freiheit und Gleichheit und ich hoffte, hier eine Chance zu bekommen. Ich wurde bitter enttäuscht, aber ich habe meine Hoffnung noch nicht aufgeben .
Ich habe einige liebe Schweizer kennengelernt, die sich sehr um mich gekümmert haben und mir sehr geholfen haben. Sie sind fest in meinem Herzen. Einige von ihnen vertreten auch mit viel Energie unsere Interessen. Das ermutigt mich, weiterzumachen und schafft mir ein positiveres Bild von der Schweiz: ein Land, in dem man solidarisch ist gegenüber Minderheiten und Schwächeren.
Angesichts der schweren Zeit, die wir alle erfahren, beschäftige ich mich immerhin mit dem Lernen der deutschen Sprache. Neulich habe ich mit meinem C2- Deutschkurs beim Solinetz in Winterthur angefangen. Ich bin eine neue Schülerin von Solinetz, und mir hat die Methode der Schule gefallen, weil sich die Lehrerinnen sehr stark engagieren. Ich erfahre, dass man in dieser kurzen Zeit viel lernt, vom Wortschatz bis zur Grammatik . Im Vergleich mit anderen Schulen, die ich je besucht habe, ist dieser Kurs viel wirkungsvoller. Ich bin Solinetz für diese Unterstützung sehr dankbar in einer Zeit, da uns alle anderen Möglichkeiten verwehrt zu sein scheinen.
Wir alle stehen jetzt vor einer der grössten Herausforderungen des
Jahrhunderts. Die Ausbreitung von Sars-CoV-19 hat sicherlich vielen Angst gemacht. Aufgrund meiner eigenen Erfahrung kann ich feststellen dass sich manche Menschen unangenehm gegenüber anderen verhalten. Seit Beginn der Ausbreitung wurde ich von Jugendlichen ein paarmal gemobbt. Ich wurde in Zug
sogar schon «Corona» genannt. Als dies geschah, fragte ich mich, was solchen Menschen Angst vor mir macht. Natürlich war ich beleidigt, wütend und traurig, aber meiner Meinung nach konnte das auch eine Gelegenheit für mich sein, meine eigene Würde zu bewahren, indem ich dagegen anständig reagiere. Was
ich der Leserin und dem Leser mitteilen möchte, ist, dass in dieser
unangenehmen Zeit die wahre Solidarität am wichtigsten ist, indem wir gemeinsam fürs überleben kämpfen und nicht andere diskriminieren, unabhängig von Herkunft, Farbe oder Kultur. Wichtig ist zu erkennen, dass wir alle Menschen sind!
April 2020, Text geschrieben im Rahmen der Solinetz Intensivdeutschkurse in Winterthur